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Landrat und Bürgermeister richten offenen Brief an Ministerpräsidentin

Nachdem die Zahl der Asylbewerber, die dem Landkreis Alzey-Worms seitens des Landes zugewiesen werden, unaufhörlich wächst, hat sich Landrat Heiko Sippel gemeinsam mit den Bürgermeistern der Verbandsgemeinden sowie der Stadt Alzey in einem offenen Brief an Ministerpräsidentin Malu Dreyer gewandt und Unterstützung der stark belasteten Kommunen dringend gefordert. „Das ist kein Appell mehr, wir haben es mit einer dringenden Notwendigkeit zu tun“, unterstreicht der Kreis-Chef. Die Kapazitäten zur Unterbringung und Integration der Geflüchteten seien erschöpft. „Wir sind am Limit und teils schon darüber hinaus.“

Seit 2015 habe der Landkreis Alzey-Worms mehr als 3.000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber aufgenommen, auf dem Wohnungsmarkt untergebracht, betreut und die Leistungsgewährung sichergestellt. Neben dem erheblichen Aufwand für die kommunalen Verwaltungen sei dabei auch das bürgerschaftlich-ehrenamtliche Engagement von herausragender Bedeutung. Dieses habe wesentlich dazu beigetragen, die Situation zu stemmen. Die Belastungsgrenze sei aber längst erreicht.

Seit Februar 2022 komme die Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine hinzu. Rund 1.100 Menschen seien auch hier im Landkreis wiederum gut aufgenommen und mit Wohnraum – bis auf wenige Ausnahmen in Privatwohnungen – und Leistungen versorgt worden. „Von allen Beteiligten wurde unglaublich viel abverlangt, aber wir haben es gemeinsam unter größter Kraftanstrengung geschafft, ohne dass es zu gravierenden gesellschaftspolitischen Spannungen oder gar offener Ablehnung kam“, berichten Landrat Sippel und die Bürgermeister unisono. Aktuell wandele sich die Situation. Die Akzeptanz in der Bevölkerung schwinde und ein „Weiter so“ könnte zu erheblichen Spannungen führen. Die Möglichkeiten von Kreis, Städten, Verbands- und Ortsgemeinden seien nahezu aufgebraucht.

In Anbetracht eines leer gefegten Wohnungsmarktes, der selbst für Einheimische keinen ausreichenden bezahlbaren Wohnraum mehr biete, und der Tatsache, dass sich viele anerkannte ehemalige Asylbewerberinnen und Asylbewerber mangels Alternativen immer noch in den seinerzeit zur Verfügung gestellten Wohnungen befänden, sei die dezentrale Unterbringung der im Landkreis ankommenden Flüchtlinge nicht mehr möglich. Erste Sammelunterkünfte seien bereits eingerichtet, zwei weitere Containerdörfer auf ehemaligen THW-Standorten sowie eine Notunterkunft in der Fahrzeughalle des Katastrophenschutzes in Alzey würden folgen.

All diese Behelfsmaßnahmen würden allenfalls für das erste Halbjahr 2023 ausreichen. Schon jetzt zeichne sich ab, dass es extrem schwer werde, für die geplanten Sammel- und Containerunterkünfte Betreuungskräfte zu finden. Die freien Träger meldeten bereits seit einiger Zeit fehlendes Personal. Für ein geordnetes Miteinander sei eine adäquate Betreuung aber unerlässlich. Immer mehr Kitas und Schulen informierten, dass die Herausforderungen kaum noch zu stemmen seien, obgleich auch hier vorbildliche Integrationsleistungen erbracht würden. „Eine Unterbringung in Turnhallen möchten wir auf jeden Fall vermeiden. Schon während der belastenden Corona-Zeit haben Schulsport und der außerschulische Sport schwer gelitten. Einen erneuten Abbruch der Sportmöglichkeiten können wir deshalb nicht mehr verantworten, zumal es bei der Belegung nicht mehr um eine temporäre Inanspruchnahme, sondern wahrscheinlich um eine langfristige Sperrung gehen würde“, betonen Landrat Sippel und die Bürgermeister. Das Gleiche gelte für Sportveranstaltungen mit ihrem prägenden Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Leben.

Aus alledem ergebe sich die Notwendigkeit, offen und transparent deutlich zu machen, dass die weitere Aufnahme von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern die Kommunen überfordere und dringend eine Strategie benötigt werde, wie es über das erste Halbjahr hinaus weitergehen solle. „Wir mahnen eine zwingend andere und gerechtere Verteilung der schutzsuchenden Menschen aus aller Welt in der Europäischen Union an. Die Bundesrepublik Deutschland trägt einen weit überproportionalen Anteil an der eigentlich notwendigen gemeinsamen Kraftanstrengung. Solidarität in der EU kann nicht bedeuten, dass einige Staaten sich auf den Bezug von Fördergeldern beschränken, sich aber ansonsten aus der Solidarverpflichtung heraushalten. Hier halten wir eine Intervention von Bund und Ländern für unbedingt notwendig“, so die Unterzeichner.  Die Begrenzung der irregulären Zuwanderung müsse umgehend auf die Tagesordnung und dürfe nicht weiter tabuisiert werden.

„Wir erkennen an, dass sich das Land in hohem Maße für die Ausweitung der Erstaufnahmeeinrichtungen engagiert und die Zuweisung auf die Kommunen abpuffert. Die endlichen Ressourcen auf örtlicher Ebene machen es aber erforderlich, weitere zentrale Einrichtungen auf Bundes- und Landesebene zu schaffen und dabei insbesondere auch die Asylbewerberinnen und Asylbewerber dort zu belassen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und für die keine Bleibeperspektive besteht“, so Landrat Sippel und die Bürgermeister. Die Organisation der freiwilligen Ausreise oder Rückführung könnte zentral schneller erfolgen und würde die Ausländerbehörden entlasten. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Abschiebung ausreisepflichtiger Personen bedürften einer grundlegenden Novellierung, da es nach der heutigen Duldungspraxis nur sehr schwer möglich sei, Rückführungen überhaupt zu vollziehen – wenn überhaupt, dann oftmals nur mit großem Aufwand. Letztlich müsse es auch darum gehen, dass die Hilfen den Menschen zu Gute kommen, die Hilfe benötigten und die hierauf einen Anspruch hätten. 

Abschließend wolle man nicht unerwähnt lassen, dass die kommunalen Kassen durch die Flucht- und Asylaufnahme stark belastet würden. „Wir sind dankbar für die staatliche Unterstützung seitens Bund und Land, wissen aber aus der Vergangenheit heraus, dass die entstehenden Kosten durch die Zuweisungen wohl nicht annähernd gedeckt werden können. Wir erwarten deshalb eine volle Kostenübernahme der uns entstehenden Aufwendungen“, so die Unterzeichner. Jedoch würde allein die Zusage von mehr Geld die Kommunen nicht in die Lage versetzen, noch mehr Menschen unterzubringen. Das wäre ein Trugschluss und dürfe so auch nicht beim Bund ankommen.

Ein offener Dialog und Schulterschluss zwischen Land und den Kommunen sei gerade in diesen Zeiten unerlässlich. In diesem Sinne erwarteten Landrat Sippel und die Bürgermeister eine klare Positionierung und Unterstützung seitens der Landesregierung. Zudem sei der Offene Brief als deutliches Lagebild zu verstehen, das auch beim morgigen Flüchtlingsgipfel in Berlin Gegenstand der Gespräche sein soll.